HOMESCHOOLING

BT vom 12.05.202 von Anping Richter

Von den Problemen mit der Schule zu Hause

Schüler müssen Umgang mit Tablets lernen


Schule zu Hause : Die zehnjährige Dunja und der achtjährige Diar aus Buxtehude setzen sich jeden Tag pünktlich um acht Uhr mit ihren Notebooks an den Schreibtisch. Foto: privat

LANDKREIS. Wie gut das Lernen zu Hause klappt, liegt an vielen Faktoren: Die Kompetenz und digitale Ausstattung in den Schulen, aber auch die Bedingungen im Elternhaus sind sehr unterschiedlich. Das birgt potenziell Ungerechtigkeiten. Bei Eltern wird Kritik laut.

Ein Vater, der seinen Namen mit Rücksicht auf seine zwei Kinder nicht in der Zeitung sehen möchte, berichtet: Das ältere Kind besucht die fünfte Klasse der Oberschule Harsefeld, wo digital gearbeitet wird. Es verfügt nicht über ein Smartphone oder ein anderes digitales Endgerät. Auch ein Drucker ist nicht im Haus. Der Vater ist alleinerziehend, aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig und Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Die Schule versorgt das Kind klassisch mit Aufgaben auf Papier und versichert, alle wichtigen Lerninhalte würden auch analog vermittelt.

Den Vater beruhigt das nicht. Sein Kind, sagt er, kann zum Beispiel nicht wie seine Mitschüler an den regelmäßigen Videokonferenzen der Klasse teilnehmen. Beim Jobcenter Stade stellte er einen Antrag auf eine Beihilfe für die Anschaffung eines Tabletcomputers – vergeblich. Auch ein Darlehen wurde nicht gewährt. Begründung: Es handele sich nicht um eine „akute Notsituation“. In der Schule fragte er nach einem Leihgerät, doch die konnte so schnell keines zur Verfügung stellen.

Dabei hat die Samtgemeinde Harsefeld als Schulträgerin sich eigentlich in Windeseile gekümmert und im Rahmen des Programms „Digitalpakt Schule“ sofort die Anschaffung von 32 Tablets beantragt, dank einer Ausnahmeregelung angesichts der aktuellen Situation durfte die Anschaffung vorgezogen werden. Aber noch sind die I-Pads nicht da. „Und wenn wir sie haben, ist es nicht damit getan, einem Kind ein Tablet in die Hand zu drücken. Die Schüler müssen auch damit umgehen können“, erklärt Konrektorin Danica Galla von der Harsefelder Selma-Lagerlöf-Oberschule.

Einige Endgeräte seien vorhanden, aber nicht sofort einsatzbereit, sondern müssten erst eingerichtet werden. Zudem sei die Versicherungsfrage noch ungeklärt. „Es ist Wahnsinn, was die Kollegen zurzeit alles leisten“, sagt Galla. Präsenzunterricht, Homeschooling und digitale Angebote, alles laufe gleichzeitig und sehr individuell, weil die häuslichen Bedingungen bei jedem Schüler anders aussehen. Stichworte Smartphone, Tablet, Computer, Deutschkenntnisse, räumliche Verhältnisse, unterschiedliche Unterstützung durch die Eltern, ausreichende Netzversorgung.

Eltern stehen vor diversen Herausforderungen

Die zehnjährige Dunja und der achtjährige Diar aus Buxtehude haben einige dieser Probleme nicht: Smartphones und ein Laptop gab es zu Hause, ein Tablet für das zweite Kind hatte eine Freundin übrig. Mutter Silava Mahmoud spricht gut deutsch, auch wenn es nicht ihre Muttersprache ist. Nach dem Frühstück schickt sie die Kinder täglich um Punkt acht Uhr an den Schreibtisch. Trotzdem laste die Verantwortung auf ihr, dass ihre Kinder von der aktuellen Situation Nachteile haben könnten, sagt die 34-Jährige: „Ich bin keine Lehrerin, in vielen Dingen kenne ich mich einfach nicht so gut aus.“ Sie muss sich außerdem auch um zwei kleine Geschwister kümmern, ein Jahr und drei Jahre alt.

„Ich bin keine Lehrerin, in vielen Dingen kenne ich mich einfach nicht so gut aus“, sagt Mutter Silava Mahmoud über die Probleme beim Homeschooling.

Als Übersetzerin bei der Awo und Mitglied der BI Menschenwürde hat sie Kontakt zu vielen Flüchtlingsfamilien und weiß, dass es anderswo noch größere Schwierigkeiten gibt: „Es ist nicht nur die Sprache, manche haben noch nicht mal richtiges Netz in den Flüchtlingsunterkünften.“ Ihre Tochter, die die fünfte Klasse des Halepaghen-Gymnasiums besucht, könne über den Schulserver zwar sehr gut ihre Aufgaben abfragen, müsse aber oft lange auf Feedback warten. Bei ihrem Drittklässler Diar, der die Grundschule in der Harburger Straße besucht, klappe es aber sehr gut: Dank eines virtuellen Klassenzimmers können die Kinder ihrer Lehrerin Nachrichten schreiben und bekommen schnell Antwort. Dreimal in der Woche hat Diar mit seiner Klasse Videokonferenz. „Ich bin echt beeindruckt, der Austausch mit der Schule läuft genial“, sagt Silava Mahmoud. Gleich zu Beginn der Schulschließung gab es eine Mail an alle Eltern, in der die digitale Ausstattung abgefragt wurde.

Anfrage nach Plattformen für Videokonferenzen steigt

Für eine Grundschule dürfte das vorbildlich sein. Besonders an Berufsschulen oder Gymnasien gab es vielfach schon eine eingeführte digitale Infrastruktur und entsprechende Kompetenz bei Schülern und Lehrern. Viele Schulen werden aber erst jetzt an die Niedersächsische Bildungscloud angeschlossen, die noch im Projektbetrieb war und nun kurzfristig für alle zur Verfügung gestellt wurde. Auch das Medienpädagogische Zentrum der Bildungsregion Landkreis Stade bietet seit Neuestem 15 Server als Plattform für Videokonferenzen an, die Lehrkräfte ebenso nutzen können wie Schüler. „Wir werden von Anfragen fast überrollt. Schulen nutzen unser Angebot mittlerweile auch für Fach- und Gesamtkonferenzen sowie für Schulvorstandssitzungen, um den Schulbetrieb auch auf formaler Ebene aufrecht erhalten zu können“, sagt Jörg Steinemann vom MPZ (Interessierte können sich per E-Mail unter info(at)mpz-stade.de melden).

Die Oberschule in Harsefeld arbeitet längst mit dem Schulserver I-Serv, berichtet Konrektorin Galla. Sie sei dankbar, dass endlich der Fokus auf diesem Thema liege. Spätestens bis zum Sommer werde wohl jeder begriffen haben, dass eine gute digitale Ausstattung unverzichtbar sei. Ihr Kollegium treffe sich oft, um Fortbildungskonzepte zu entwickeln und setze auf projektorientiertes Arbeiten, geeignete Lern-Apps und Lernplattformen: „Jetzt ist der Moment.“

Vater kratzt Geld für Notebook zusammen

Das hat sich auch der Harsefelder Vater gedacht. Erst setzte er noch Hoffnung in ein Sofortprogramm in Höhe von 500 Millionen Euro, das Bundesbildungsministerin Anja Karliczek am 23. April angekündigt hat. Das Geld soll direkt an die Schulen gehen, damit bedürftige Kinder mit mobilen Endgeräten ausgestattet werden können. Niedersachsen bekommt davon 49 Millionen Euro. Weil in der Schule noch bekannt war, wie und wann das passieren soll, schrieb der Vater erst an Kultusminister Grant Hendrik Tonne und schließlich an Ministerpräsident Stephan Weil. Nun hat er Antwort bekommen: Das Geld soll den Schulträgern „in Kürze“ zur Verfügung gestellt werden. Aktuell werde jedoch das Verteilungs- und Beschaffungsverfahren noch geklärt. Für sein eigenes Kind hat der Harsefelder Vater inzwischen allerdings selbst eine Lösung gefunden: „Ich habe alles Geld zusammengekratzt und ein Notebook besorgt, die Stiftung Bethel hat 100 Euro beigesteuert.“