Buchtipp

Die Käfige und Türen der Sprache

Von Anping Richter, Buxtehuder Tageblatt, 25.05.2020

Bisher habe ich mich in der Sprache meistens bewegt wie ein Fisch im Wasser. Damit ist es jetzt vorbei. Seit ich Kübra Gümüsays neues Buch gelesen habe, spüre ich Strom und Widerstand.

„Sprache in allen ihren Facetten – ihr Lexikon, ihre Wortarten, ihre Zeitformen – ist für Menschen wie Wasser für Fische. Der Stoff unseres Denkens und Lebens, der uns formt und prägt, ohne dass wir uns seiner in Gänze bewusst wären“, schreibt die Hamburger Autorin. Gümüsay beschreibt mit einprägsamen Bildern und großer Dichte, wie Sprache uns die Welt erklärt, sie strukturiert und ordnet  – und wie sie dabei normiert. Die 1988 in Hamburg geborene Politikwissenschaftlerin hat einen wachen Sinn dafür und führt das auch darauf zurück, dass sie früh gelernt hat, sich in mehreren Sprachen zu bewegen: Türkisch war die Sprache ihrer Eltern, Arabisch die Sprache der Gebete, Deutsch die Sprache der Umgebung.

Später studierte Gümüsay in London und lebte mehrere Jahre in Oxford. „Wir Kinder, die in verschiedenen Sprachen leben, sehen Mauern, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen, die für die meisten Menschen, die ausschließlich die dominierende Sprache sprechen, vermutlich nicht sichtbar sind“, sagt die Autorin. Kategorien seien notwendig, weil sie helfen, Wahrgenommenes einzuordnen, Muster zu erkennen, Entscheidungen zu treffen. Aber es sei wichtig, zu bemerken, wann diese Kategorien zu Käfigen werden. Fremdenfeindlich – dieses Wort macht die Angefeindeten zu Fremden. Gutmenschen, Lügenpresse, Kopftuchmädchen, alte weiße Männer: Erst, wer sich klar macht, auf welche Weise Sprache mit solchen Begriffen Mauern baut, hat die Möglichkeit, sich über diese hinweg zu bewegen oder darin Türen zu öffnen.

Kübra Gümüsay versteht ihr Buch als Beitrag zur Suche nach einer neuen Sprache, in der alle Menschen gleichberechtigt sprechen und sein können.

„Sprache und Sein“ ist 2020 bei Hanser erschienen und kostet 18 Euro.