Die → BI Menschenwürde Buxtehude feierte am 26. August 2017 ihr 5jähriges Bestehen mit einem Stand in der Stadt mit dem Motto „Wählen Sie Menschenwürde!“. Die Menschen konnten ihre Vorstellung von Menschenwürde kundtun und es gab Kostproben syrischer Köstlichkeiten. Auf einer Feier am Nachmittag wurde afghanisch gekocht.
Am 24. August 2017 blickte das Tageblatt auf die Arbeit der Bürgerinitiative zurück (mit freundlicher Genehmigung der Redakteurin):
5 Jahre für die Menschenwürde
Von Anping Richter
BUXTEHUDE. Vor fünf Jahren wurde die Bürgerinitiative Menschenwürde gegründet. Zunächst ging es vor allem darum, sich für eine Verbesserung des Umgangs mit ausländischen Mitbürgern in Behörden des Landkreises einzusetzen. Seither sind viele Themen hinzugekommen – und es hat sich einiges getan.
BT 24.08.2017
„Die Angst beim Gang ins Kreishaus“ – so betitelte das TAGEBLATT im April 2012 einen kritischen Bericht über frustrierende Erlebnisse von Migranten bei Behörden des Landkreises Stade. Eine der Betroffenen, die Buxtehuderin Silava Mahmoud, sollte im darauffolgenden Sommer zu den Mitbegründerinnen der Bürgerinitiative Menschenwürde gehören. Bei einer Sondersitzung des Kreissozialausschusses forderten empörte Bürger einen Runden Tisch mit dem Ziel, in den Behörden ein anderes Klima schaffen, in dem mehr auf Integration und weniger auf Abschottung abgezielt würde. „Damals wurde der Antrag abgeschmettert“, berichtet Barbara ErhardtGessenharter, die erste Vorsitzende der Bürgerinitiative Menschenwürde, „und deshalb haben wir beschlossen, uns selbst darum zu kümmern.“
Abschiebung löste Debatte aus
Einen Schub bekam die entstehende Bürgerinitiative kurz darauf durch den Fall der Familie Fazlijaj aus Schwinge im August 2012: Das junge Ehepaar mit zwei kleinen Kindern wurde in einer unangekündigten nächtlichen AbschiebeAktion in den Kosovo gebracht. Sie lebten schon seit 23 Jahren, also seit frühester Kindheit in Deutschland. „Überfallartig“ nannte der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Abschiebung in Schwinge und kritisierte den Landkreis Stade, der „nicht zum ersten Mal durch besondere Rücksichtslosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen Schlagzeilen“ mache.
Die Abschiebung der Familie Fazlijaj löste eine öffentliche Debatte aus, an der sich viele Bürger lebhaft beteiligten. In Buxtehude trafen sich Engagierte aus dem ganzen Landkreis im September, um mit einer Aktion an die Öffentlichkeit zu gehen: Sie wollten nicht zulassen, dass Menschen heimlich und ohne Beistand nachts aus ihren Betten geholt und abgeschoben werden. Die Nummer einer Notfall-Telefonkette wurde veröffentlicht, die von Betroffenen oder Nachbarn sofort in Gang gesetzt werden sollte, um minutenschnell möglichst viele Mitglieder auf der Liste zu mobilisieren und so für Beistand und Öffentlichkeit zu sorgen.
Es war in dieser Zeit, als der Begriff „Menschenwürde“, den die Initiative immer wieder gemäß dem ersten Artikel des Grundgesetzes in die Argumentation einbrachte, auch zum Namensgeber der Bürgerinitiative wurde. Politisch zeigte der öffentliche Gegenwind bald Wirkung: Die nächtlichen Abschiebungen wurden ausgesetzt, mit Unterstützung aller politischer Fraktionen vor Ort. Eine Eingabe mit 1700 Unterschriften wurde an den Landtag übergeben.
Der Paradigmenwechsel kam
Ein Paradigmenwechsel in der niedersächsischen Politik sei nach dem Regierungswechsel 2013 und der Übernahme des Innenministeriums durch Boris Pistorius laut Barbara ErhardtGessenhardter auch im Landkreis Stade spürbar geworden.
Die BI Menschenwürde verstand sich aber auch unter dieser Regierung als zivilgesellschaftliches Korrektiv: So kämpfte sie 2013 erfolgreich für die Abschaffung des Gutscheinsystems. Mitglieder kauften Gutscheine von Asylbewerbern ab und gingen selbst damit einkaufen; eine Unterschriftensammlung wurde an Landrat Michael Roesberg übergeben.
Die Forderung wurde durchgesetzt, aber damit kam auch das nächste Thema: Das Konto für alle. Denn manche Asylbewerber wussten nicht, wie sie Geld in ihren Sammelunterkünften sicher verwahren sollten – und nahmen die Geldbörse teilweise mit in die Dusche.
Schon seit 2014 beschäftigt sich die BI Menschenwürde intensiv mit dem Thema Kirchenasyl. Inzwischen hat es mehrere Fälle von Kirchenasyl im Landkreis Stade gegeben. „Sie wurden nicht öffentlich bekannt, weil die Kirchen Wert auf Diskretion legen“, erläutert ErhardtGessenharter. In einem Fall sei es gelungen, vor der Kulisse eines möglichen Kirchenasyls zu erwirken, dass ein von Abschiebung bedrohter Syrer, dem ein psychologisches Gutachten Suizidgefährdung bestätigte, nach zwei Monaten doch Asyl beantragen durfte.
In Deutschland gilt das Jahr 2015 als Jahr der Flüchtlingswelle in der Folge des Syrienkriegs. Die BI Menschenwürde hatte damit schon weit früher zu tun. 2014 unterstützte sie mit Beratung und einer Spendenaktion erstmals den Nachzug einer syrischen Familie nach Buxtehude und hat seither immer wieder Familienzusammenführungen unterstützt – inzwischen unter erschwerten Umständen. Ein Beispiel: Seit knapp zwei Jahren verlangt die deutsche Botschaft für die Ausstellung eines Visums nicht nur eine Geburtsurkunde, sondern einen gültigen Reisepass des Herkunftslandes. Wie BIVertreterinnen berichten, macht das AssadRegime dies zum Geschäft und verlangt inzwischen 800 Euro für die Ausstellung; im vergangenen Jahr waren es noch 400.
Individuelle Lösungen für junge Leute
Die geeignete Unterbringung von unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen war ein Problem, bei dem sich die BI Menschenwürde 2016 besonders in Buxtehude einbrachte: Eine betreute Wohngruppe junger Syrer in Buxtehude sollte aus ihrem schulischen und sozialen Umfeld gegen ihren Willen in eine Gemeinschaftsunterkunft nach Stade verpflanzt werden. Buxtehuder Schüler solidarisierten sich und liefen bei der Stadt Sturm, die BI Menschenwürde schaltete sich vermittelnd ein. Letztlich konnten durch das Mitwirken aller Beteiligten individuelle Lösungen für die weitere Lebensgestaltung der jungen Leute gefunden werden.
„Mit der Zeit haben wir uns schlau gemacht, Erfahrungen gesammelt und unsere Netzwerke ausgebaut“, sagt ErhardtGessenharter. Zum Netz gehören unter anderem der niedersächsische Flüchtlingsrat, Schulen und Hilfsgruppen vor Ort, Parteien, Arbeitskreise, die Diakonie, die Caritas, die AwoMigrationsberatung, empfehlenswerte Anwälte und Ärzte – und nicht zuletzt Mitarbeiter der Stadt Buxtehude und der Ausländerbehörde des Landkreises. „In Buxtehude habe die Stadt bei der Aufnahme der Flüchtlinge einen vergleichsweise guten Job gemacht, das muss man an sehr anerkennend sagen“, merkt ErhardtGessenharter an. Sie erwähnt die freundliche Aufnahme, die Einbeziehung der Ehrenamtlichen und die weitgehend dezentrale Unterbringung in Buxtehude. Ein wichtiges Ziel, das demnächst erreicht sein könnte, ist es, in Buxtehude die Stelle einer Integrationsbeauftragten zu schaffen – die Fachgremien haben bereits dem zugestimmt.
Beim Landkreis Stade, berichten die Vertreterinnen der BI Menschenwürde, habe sich vieles positiv entwickelt: „Es hat einen Generationswechsel gegeben, es herrscht ein anderes Klima.“ Die Grundhaltung sei heute eher konstruktiv. SmerdkaArhelger führt das auch ein wenig darauf zurück, dass es heute mehr Menschen gibt, die Flüchtlinge zu den Behörden begleiten – und dort nicht mehr als Bedrohung, sondern als Hilfe empfunden werden. Ihr Hauptanliegen will die BI Menschenwürde unbeirrt im Auge behalten, sagt ErhardtGessenharter: „Wir werden uns immer wieder einklinken, wenn wir die Menschenwürde bedroht sehen.“